Dienstag, 30. Juni 2009

Das Ver-sprechen

Es ist schon ein Dilemma: Wie soll man Philip K. Dicks Geschichten verstehen? Soll man verstehen? (Soll man überhaupt?) Und dann die Zeit! In nicht wenigen (Kurz-)Geschichten Dicks ist die Zeit nicht etwas, in das die Protagonisten zufällig hineingeboren wurden, sie ist nicht einfach Staffage, in der sich Ereignisse manifestieren – nein, Zeit ist bei ihm oft gar Hauptcharakter: Das, wodurch eine bestimmte Geschichte, sei es nun The Skull, Paycheck oder auch Simulacra, erst ihren tropischen Wendepunkt erfährt. Zeit (und natürlich auch an sie gekoppelter Raum...) lässt die Geschichte erst dramatische Geschichte sein; durch die Zeit erfahren o. g. Geschichten und weitere erst ihren „Sinn“. Ihren Sinn dahingehend, dass sie erst dadurch erzählt werden kann, dass etwas mit der Zeit nicht „stimmt“; ihr kontinuierlicher Flusscharakter vorwärts (weiter, immer weiter!) - „unserer“ geläufigen Zeit-Vorstellung Glauben schenkend - wird unterbrochen; etwas merk-würdiges geschieht.
Des Merkens würdig ist auch The Skull! Der Verlauf der Geschichte, in der der Protagonist (Conger), durch die Zeit geschickt wird, um eine bestimmte systemkritische, gar -feindliche Bewegung durch die Auslöschung ihres Führers zu stoppen, erfährt, er selbst ist der Initiationszünder eben dieser Bewegung, der Messias (Jesus!) - er wird zurückgereist um sich selbst auszulöschen. Wie dramatisch!
Der Konflikt, der sich in Conger nach der Realisierung dieser schier ver-rückten Tatsache ausbreitet,
entfaltet und traumatisiert sich in den Erinnerungsspuren der Gesellschaft, die ihn zurückgeschickt hat, um sich ihm selbst auslöschen zu lassen – Rache auszuüben an den aufklärerischen Ideen eines Propheten. Wie muss Conger sich wohl gefühlt haben zu just diesem tropischen Wendepunkt von The Skull? Grausam, bestimmt. „Im Kreislauf traumatischer Geschichten auf das Gewesene fixiert, holt uns das fatale Verhängnis unserer Historie wieder und wieder ein, stößt auf, oft zur Unzeit, auf jeden Fall zwänglich, so dass es sich gerade gegen unseren Willen, gegen unser besseres Wissen und Gewissen, ja sogar gegen unser Lustprinzip widerwillig zurückmeldet: unversöhnt, unverdaut, giftig.“ [1]

Giftig, gleich einer Tarantel (Nietzsche, Zarathustra), fressen sich die Erinnerungsspuren nun allzumal durch Congers Seele – so dass er eigentlich danach trachten müsste, der Spinne des schrecklichen Gedächtnisses ihr Gift zu entziehen, „um sie von den intimen Exilen ihres Ressentiments zu befreien, das sie traumatisch um ihr „Es war“ kreisen – und damit um ihre eigenen Zeitachse winden lässt.“ [2]

Folgt man Nietzsche und seinem Gedanken, der Mensch sei ein „Tier“, das versprechen muss, befindet er sich „per se in der prekären Lebenslage, ständig über eine Zukunft sprechen zu müssen, die uns allererst versprochen wird, über deren Kommen wir aber nicht unbedingt verfügen können. Denn immer könnte es für das in die Ferne fliehende Fluchtwesen "Mensch" auch anders kommen, so dass sich das virtuelle Versprechen, das wir uns im Vorhinein blauäugig gegeben haben, im Nachhinein als ein fataler Versprecher einer menschlich, allzu menschlichen Sprache erwiesen haben könnte.“ [3] Der Versprecher, eines von Nietzsches vielen feindeutigen „Wortspielen“ (s. a. versuchen!), stellt sich in The Skull also als dieses besondere Moment heraus, in dem Conger erfährt, dass eigentlich alles ganz anders, ganz eigen-artig war und in seiner „jetzigen“ Lebenslage auch ist. Die Zukunft (hier als in die Vergangenheit projiziertes Versprechen an eine Veränderung der Umstände der Gegenwart, aus der Conger „ursprünglich“ gekommen ist) ist durch und durch virtuell, ein blauäugiges. Denn die, die ihn entsandt haben, so wie auch er selbst, konnten nicht wissen, dass er es selbst war...ist...immer schon gewesen ist und daran wohl nichts zu ändern ist; ja - dass durch eben jenes Vorhaben, die Bewegung zu zerschlagen, erst die Bewegung empor gekrochen ist. Ein fataler Versprecher, den es wohl nicht zu verhindern möglich war.
Im Er-innern, ganz Heideggerisch gesprochen als das nach-Innen-Holen-des-Außen, liegt per se immer ein Versprechen, „das in der dritten Synthese der Zeit, dem Gedächtnis der Zukunft, anklingt.“ [4] Folgt man also diesem Gedanken Deleuzes , was verspricht sich dann in dieser Synthese?

Sie scheint das Unmögliche zu versprechen, nämlich „dass das Gewesene in seiner Bedeutung nicht vergangen, sondern solange zukünftig bleibt, solange es von uns nicht vergessen wurde. Denn trotz seiner chrono-logischen Vergangenheit und Unwiederbringbarkeit bleibt das Vergangene Kraft der Macht des Gedächtnisses logisch remarkierbar und in seiner einstigen Bewandtnis daher semantisch unabgeschlossen - futural ankünftig.“ [5]
In The Skull besteht das Versprechen, die Irreversibilität des Gewesenen aufheben zu können, um dem Menschen einen Fluchtraum zu öffnen, der es ihm ermöglicht, „aus seiner traumatischen Vergangenheit aktuell herauszutreten und damit zu entkommen.“ [6] Dies gelingt aber nicht! Man mag fast meinen: Ganz im Gegenteil!
Das Vergangene ist in The Skull weder vergangen, noch glaubt man zu wissen, die ganze Tragkraft des Zeitreiseaktes darin verstanden zu haben. The Skull ist in Wirbeln und Windungen zu denken, niemals linear oder gar mono-kausal. Das System versucht sich anhand Congers Reise leibhaftig der Initiation der Bewegung wieder zu erinnern und sie mit seiner Hilfe zu zerschlagen. Das Vergangene ist so im „Vollzug der nachträglichen Wiedererinnerung im Kommen“ [7], bliebt auch darin – und die Obrigkeiten des Systems versuchen sich jener zu entledigen, eine neue zu schaffen, in der die Bewegung niemals aufgekeimt ist. Das Unterfangen gelingt nicht und das ist das Schreckliche dieser Geschichte (aus den Augen des zukünftigen Systems). Man möchte gar sagen, The Skull sei die Manifestation der „Ewigen Wiederkehr des Gleichen“ (Nietzsche) in Buchstaben gegossen.

[1] - [7] Böhler, Arno: "Vor der (imaginären) Gesetzes-Kraft", Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, 15/ April 2004, In: http://www.inst.at/trans/15Nr/03_1/boehler15.htm (Zugriff am 25.06.2009).

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